Ich sah mich zum ersten Mal wirklich genauer auf der freien Fläche um, die den Bau umgab und überlegte. Wo sollte Anju schlafen? Mein Bau würde auf Dauer keine Lösung sein. Und der Neue? Er brauchte auch einen Platz.
Mit langen Schritten trabte ich umher, und sah mich um.
Rechts von meinem Bau, ein paar Hasensprünge entfernt, musterte ich den ersten Hasenbau und schlüpfte schließlich hinein. Der Eingang war eng, doch bot mir genügend Platz, um mich durch die kahle Erde zu schieben, welche sich einige Schritte an meinen Seiten zu einem Durchgang formte und mich letztendlich zu einem geräumigen Ort führte. Auch er leer, doch noch immer hing der schwache Geruch der alten Bewohner - Hasen - in der Luft und erinnerte mich fern daran, dass auch diese wohl schon lange zu Frischbeute geworden waren, oder zu altem Krähenfraß. Furchtbar. Doch auch gleichzeitig fragte ich mich, was sie hier getan hatten? Geschlafen? Oder was? Ich blickte durch die matte Dunkelheit, welche einzig durch die schwachen Lichtstrahlen gemildert wurde. Hasen schien die Dunkelheit zu mögen, zumindest hier, in ihren Bauen. Interessant. Aber ich entdeckte auch gleichzeitig einen kleinen Weg, einen schmaleren, als der kurze Eingang. Ich folgte ihm.
Es brauchte nicht lange, und bereits nach kurzer Zeit stellte ich fest, dass sich der Weg gabelte. Während er nach rechts in eine kleine, unbedeutende Höhle verlief. Vielleicht war dort etwas eingestürzt? Verlief die nach Links ein etwas breiterer Gang, dem ich sofort folgte. Ich kam in eine weitere größere Höhle, die etwas kleiner als die andere war, aber dennoch genügend Platz bot. Auch wies dieser einen gleichen Ausgang der Art, wie drüben auf und führte mich nach Draußen. Ich sah mich um.
"Anscheinend sind machen Baue miteinander verbunden..." , stellte ich leise fest.

Als ich eine fremde Stimme hörte, zuckte mein Kopf hoch und ich schleckte mir schnell das Blut vom Maul. "Hallo, du!" miaute ich fröhlich, zuckte aber wieder zusammen, als ich meine Pfote bewegte.

Immer weiter krabbelte ich in den Bau hinein, bis ich endlich Fell entdeckte. "Na, du musst dann wohl Anju sein! Ich bin Lantis", begrüßte ich die Kätzin genauso fröhlich, denn sie schien etwa in meinem Alter zu sein. Vielleicht hatte ich ja hier eine Spielgefährtin gefunden? Schnuppernd streckte ich meine Nase in ihre Richtung, als sie auch schon zusammen zuckte. "Na nu? Was hast denn du?" Hatte sie sich verletzt und musste deswegen im Bau bleiben?

Der Bau war nicht wirklich viel weiter als zwei-drei Hasensprünge entfernt, und schien wohl nicht ausgebaut geworden sein. Warum wohl? Man wusste es nicht.
Sie entfernte sich etwas. Vielleicht kann man den rechten Weg weitergraben? Irgendwas muss doch noch dahinter sein, oder?, während ich weiterlief überlegte ich. Rasch überquerte ich die Lichtung, und musterte den Bau, der sich vor mir ergab. Im Gegensatz zu dem anderen Bau, wirkte der Eingang etwas weiter, und der Eingang kürzer. Ich befand mich in einem weiteren Raum, der stark dem anderen Bau von eben glich. Interessant…, ich machte einen weiteren Weg aus, dem ich instinktiv folgte.
Wieder eine Weggabelung, doch führte dieses Mal der rechte Weg, wie auch der linke Weg in zwei kleinere, ältere Höhlen, die gepolstert waren mit alten, ergrauten Moos und Fellfetzten. "Pfui... Wie lange ist der Bau schon verlassen?", ich stockte. Doch ich witterte auch den vertrauten Geruch der Geburt, dem zarten Geruch von Nachwuchs, von Liebe und Ruhe. Hier hatten die Hasen ihre Jungen gehabt! Ich blinzelte erstaunt. Was gab es, was ich alles nicht über meine Beute wusste? Dies galt es herauszufinden.

"Ja, ich bin Anju! Woher kennst du meinen Namen?" Aufgeregt wischte mein Schweif über den Boden. Er schien etwas jünger als ich, aber er war supernett. Dann hörte ich seine nächsten Worte und meine Fröhlichkeit war wie weggeblasen. Ich fing wieder an zu zittern und zog die Pfote etwas näher an meinen Körper, ohne ihm zu antworten.

"Die graue Kätzin hat ihn mir genannt", teilte ich gleich stolz miauend mit und grinste bis über beide Ohren. Als sie sich jedoch verschloss, klappte ich die Ohren zu den Seiten. "Ehm.. entschuldige." Da hatte ich wohl etwas Falsches gesagt. Betroffen senkte ich den Blick, ehe mir etwas einfiel. "Bin sofort wieder da!" Rasch krabbelte ich rückwärts wieder aus dem Bau heraus und suchte nach dem Zweig Katzenminze, den ich zuvor vergessen hatte. Dabei entdeckte ich den grauen Kater etwas entfernt und die Kätzin gar nicht. Wird schon wieder auftauchen, dachte ich bei mir und verschwand mit dem Kraut auch schon wieder im Eingang. Vorsichtig, um den Zweig nicht zu brechen, schob ich mich den Gang hinab und legte ihn schießlich vor Anju ab. "Schau mal!" Begeistert deutete ich darauf und sah sie abwartend an.

Als Lantis bedrückt die Ohren anlegte und aus dem Bau krabbelte, hob ich den Kopf. "Warte-", miaute ich, doch er war schon weg. Seufzend legte ich den Kopf auf die Seite, das Zittern hatte dank Silhouettenmonds Geruch bald wieder nachgelassen. Dann hörte ich, wie er zurückkam und spitzte die mit Fellbüscheln bedeckten Ohren. Ein vertrauter Geruch umhüllte mich, der mich wohlig schnurren ließ. "Katzenminze!" rief ich und drückte meine Nase in das Kraut, das er vor mir abgelegt hatte. "Wo hast du die her? Das hab ich ja ewig nicht mehr gerochen!"

Froh, ihre Stimmung wieder aufgehellt zu haben, begann ich leise zu schnurren und betrachtete sie. "Gar nicht weit von hier!", teilte ich die Neuigkeit begeistert mit ihr und meine Stimme erhob sich wohl auch etwas. "Da steht so ein Zweibeiner-Ding, das nach Stein und morschem Holz riecht. Und die graue Kätzin hat mich dort vor den komischen Ästen gerettet", plapperte ich einfach drauf los und hoffte, so die Anspannung weiter zu lösen. Allerdings besänftigte es leider nicht meine Neugierde, denn ich schielte immer wieder zu ihrer Pfote und entdeckte nun auch die Spinnenweben an ihrer Seite. Was war ihr nur passiert?

Ich hörte ihm begeistert zu und nickte dann. "Das klingt nach einem alten, verlassenen Zweibeiner-Nest", miaute ich und wischte nachdenklich mit dem Schweif über den Boden. Als ich einen Käfer entdeckte wollte ich aufspringen, aber der Schmerz, der daraufhin in meiner Pfote entflammte, ließ mich wieder leise jaulend zu Boden sinken. Ich konnte nicht draußen herumlaufen, weil meine Pfote wehtat, und das machte mich noch wahnsinnig! "Mir ist so langweilig", jammerte ich und vergrub die Nase abwechselnd in die Katzenminze und das Pelzvieh, was so gut schmeckte, damit ich ein bisschen was davon fressen konnte.

"Meinst du?" Neugierig musterte ich sie und versuchte mich an die Geschichtern meiner Mutter bezüglich Zweibeiner zu erinnern. Ob diese Nester tatsächlich so aussahen? Als Anju aufjaulte, schreckte ich zurück und riss meine Augen weit auf. "Du hast doch Schmerzen!", stellte ich völlig überzeugt fest und betrachtete ihre Pfote genauer. Komisch aussehen tat sie nicht, vielleicht hatte sie sich einen Dorn eingefangen? Allerdings konnte ich nichts dergleichen entdecken. Als sie jammerte, dass ihr langweilig war, schaute ich sie wieder direkt an. "Dann komm mit raus! Ob du jetzt hier oder draußen sitzt, ist doch egal", behauptete ich und robbte auch schon wieder rückwärts aus dem Bau heraus. Kaum draußen, ließ ich mich auf meinen Hintern fallen und atmete tief durch. Gegen frische Luft und ein bisschen Wind war nun wahrlich nichts einzuwenden.

Ich schluckte hinunter und schaute ihn an. "Möglich, aber ich bin auch keine Expertin", meinte ich und leckte mir einmal über das Brustfell. Dann hielt ich inne und riss die Augen weit auf. "R-raus? Aber..." Doch er war schon weg. Meine Ohren zuckten nervös. Komm schon, Anju! Du schaffst das, und Silhouettenmond wird dich beschützen! rügte ich mich selbst und kroch Lantis dann langsam hinterher. Das Fell auf meinem Schwanz war aufgeplustert und ich streckte vorsichtig den Kopf aus dem Bau. Langsam entspannte ich mich. Alles ist g- wollte ich mich beruhigen, doch der Schrei eines großen Vogels, der über die Weite des Himmels flog, ließ mich entsetzt maunzen. Panisch schaute ich mich um und mein Atem wurde immer schneller, als ich Silhouettenmond nirgends entdecken konnte.

Freudig begrüßte ich die junge Kätzin mit einem Schnurren, als sie sich heraus wagte, und war genauso schnell wieder irritiert, als sie bei dem entfernten Schrei eines Vogels so panisch reagierte. Im nächsten Moment wusste ich nicht mehr, ob ich lachen oder weinen sollte, entschied mich jedoch zu einem Kopfschütteln. Der graue Kater lag nicht weit entfernt und die graue Kätzin war sicherlich auch nicht weit, man konnte sie hier überall riechen. Wir waren also in Sicherheit. "Schau nach oben", maunzte ich Anju entgegen und tat selbst das, was ich vorschlug. "Da ist der Vogel. Wenn er größer wird, dann kommt er runter, dann laufen wir weg und verstecken uns", versprach ich und schaute sie wieder an.

Zitternd tat ich automatisch, was Lantis vorgeschlagen hatte, und blickte nach oben. Das Fell auf meinem ganzen Körper - bis auf die Stellen, die mit Spinnenweben verklebt waren - war gesträubt, sodass ich doppelt so groß wirkte als ich war. Ich wagte nicht, den Blick von dem Vogel abzuwenden, bis er zu weit entfernt war, um mehr als ein kleiner schwarzer Punkt am Himmel zu sein. Erst dann schaute ich den jungen Kater an. "M-meinst du?" maunzte ich zögerlich und zog die Pfote etwas näher an den Körper. Bodenkontakt tat noch immer furchtbar weh, weshalb ich darauf achtete, die Pfote nicht abzusetzen.

Auf ihre Reaktion hin stupste ich sie sacht mit der Nase an. "Aber ja! Und solange du so langsam bist", dabei deutete ich miauend auf ihre angezogene Pfote. ".. so lange beschütze ich dich! Schau!" Ich stellte mich seitlich zwischen sie und den nicht mehr sichtbaren Vogel, plüschte mein Fell auf und stellte mich auf die Pfotenspitzen, um mich größer erscheinen zu lassen. Gespielt fauchend zeigte ich ihr meine Zähne, ehe ich leise kicherte und meinen Pelz wieder entspannte. "Siehst du? Ich bin gefährlich!", behauptete ich furchtlos.